SLOVAKIAN ADVENTURES
Bei meinem letzten Besuch zum BRING THE PAINT Festival in Leicester/UK lernte ich Dali & Tomasz kennen – zwei Slowaken, welche ich bis dato lediglich als absolute Graffitilegenden wahrgenommen hatte: World Travellers und superangenehme Zeitgenossen, die man einfach nur ins Herz schliessen kann. Schnell merkten wir, dass wir scheinbar die selbe Welle surften und blieben auch nach dem Festival in Kontakt. Irgendwann Anfang 2024 fragten Sie dann nach, ob ich nicht Lust hätte, beim von ihnen organisierten CREATIVE STREETS Graffiti-& Streetart Festival im slowakischen Košice dabei sein möchte. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen – zumal Dali mir ebenso ans Herz legte, doch ein paar mehr Tage einzuplanen, da er mir gern seine Heimat zeigen wollte.
Mitte Mai stieg ich also in den Flieger nach Budapest, wo mich die Jungs abholten und wir die 3h nach Košice fuhren. Die Stadt im Osten der Slowakei hat ca. 240.000 Einwohner und das schmucke Stadtzentrum ist mit seinen kleinen Gassen, aufwändig restaurierten Gebäuden und unzähligen Bars wirklich angenehm. Ein paar Straßen weiter atmet man noch immer den klassichen Ostblock-Flair, den ich von meinen unzähligen Besuchen der Tschechoslowakeit während meiner Kindheit kannte. Skoda, Lada und Saporoz (selbstverständlich die alten Modelle) – alles am Start. Zum Festival selbst waren ca. 20 Künstler aus der Slowakei, Tschechien und Ungarn eingeladen, die allesamt recht nah beieinander verschieden große Wànde gestalteten. Besonders gefreut habe ich mich, dass ich meinen Buddy ADAM HEAT aus Budapest, mit dem ich 2019 in Russland unser bisher grösstes Mural auf 60 Metern Héhe gemalt habe, wiedergetroffen habe. Was ein herrlicher Typ und was für ein begnadeter Künstler!
Meine Hauptwand war eine ca. 5m x 16m grosse Seitenfläche einer Trafostation mitten in einem Wohngebiet. Gut sichbar und ein schönes Format, welches ich innerhalb von knapp 3 Tagen dann auch erlegt hatte. Doch darüberhinaus warteten natürlich noch einige andere Flächen und Objekte darauf, etwas Farbe abzubekommen und um ehrlich zu sein, bin ich auf Festivals wie diesen immer wirklich super motiviert, so viel wie möglich zu machen. Am Abend stand noch ein Gratiskonzert des wohl bekanntesten Rappers der Slowakei SEPAR mitten im Block an, welches wir uns natürlich nicht etgehen lassen wollten. Und da die Jungs und er ziemlich dicke Homies sind, war auch dies ein unvergesslicher Abend.
Am 5. Tag kam kam von einem lokalen Writer dann die Frage auf, ob ich denn schonmal ein „Gipsy Camp“ besucht hätte. Damit meinte man die unzähligen Roma-Siedlungen, von denen es allein in der Slowakei über 800 gibt. Eventuell gäbe es auch die Möglichkeit, dort eine Wand zu malen. Man muss dazu sagen, dass die Minderheit der Roma in für uns unfassbaren Umständen leben und man die teils selbst errichteten Siedlungen getrost als Slums bezeichnen kann. Selten gibt es eine Kanalisation oder fließendes Wasser und die spärliche Stromversorgung ist auch meist illegal irgendwo angezapft. Ohne lange zu zögern sagte ich sofort zu – trotz der 50/50-Chance, dort entweder gefeiert oder abgezogen und verjagt zu werden. Unser Homie REMAN ist wenige Kilometer entfernt aufgewachsen und kannte einige der ca. 900 Menschen, die dort leben. Schnell formierte sich eine Gruppe von ca. 10 Leuten und wir machten uns am späten Nachmittag auf in die etwa 30min ausserhalb von Košice gelegene Siedlung. Logischerweise habe ich – bis auf etwas Kleingeld – nichts mitgenommen. Ausgerüstet mit iPhone (straff unter dem Gürtel positioniert) und ein paar Spraydosen ging es also vom entfernt geparkten Auto zu Fuß ins Camp. Bereits von der Ferne konnte man die Zustände schon erahnen. Ein ruinenartiges Gebäude mit einer Pyramide aus Müll und Fäkalien aus dem 1.Stock und rundherum viele notdürftiig errichtete Behausungen. Dazu eine sehr große Menschenenge, die uns schon von der Ferne entdeckt hatte und die immer größer zu werden schien. Remann ging kurz voran und sprach mit einigen Leuten. Nach kurzer Zeit gab er ein Zeichen und zeigte auf die Wand, die wir malen konnten. In dieser Situation schaltet man einfach nur noch auf „DO OR DIE“ und startet die Maschine. Auf dem Boden eine Menge Rinnsale und Pfützen mit undefinierbarer Flüssigkeit und dazu unfassbar viele Kinder – einige von ihnen ohne Schuhe, die uns sofort umringten. Den Geruch an diesem Ort werde ich wahrscheinlich nie vergessen.
Als ich die ersten Linien zog, entbrannte um uns herum ein unfassbarer Jubel und wir merkten schnell, dass die komplette Community unser Tun für gut befand – auch wenn wir durch die vielen Kids in unserer Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt waren. Wir wollten allerdings auch nicht länger bleiben als notwendig und nach ca. 20 Minuten war die Session dann auch vorbei. Selbstverständlich fiel alles, was wir dabei hatten – Cans, Caps und sogar die Beutel – in die Hände der Kids, die sich unfassbar gefreut haben und direkt alles anmalten, was ihnen vor die Dose kam. Das Kleingeld, was sich jeder von uns vorher eingesteckt hatte, verteilten wir an die vielen jungen Mütter, die teilweise mit 2 Kindern auf dem Arm vor uns standen. Nach etlichen Selfies mit der halben Siedlung traten wir dann in Begleitung von ca. 50 Kindern wieder den Rückzug an…in der Hoffnung, im Auto noch etwas Desinfektionsmittel zu finden. Das mag hart klingen, doch die kompletten Zustände und der Geruch gaben uns schon zu denken. Wir saßen an diesem Abend noch bis tief in die Nacht, denn für fast jeden der Beteiligen war dies scheinbar ein wirklich einschneidendes Erlebnis, was man nicht so schnell aus dem Kopf bekommt.
Am nächsten Tag hiess es dann: Roadtrippin! Dali hatte sich eine kleine Tour ausgedacht, die uns erst nach Štrbské Pleso in der Hohen Tatra fèhrte, wo wir eine herrliche Wanderung durch die Berge machten und auch die Nacht verbrachten. Danach gibt es für zwei weitere Tage nach Bratislava – die Heimatstadt meiner Freunde – wo wir ebenso noch einige Dosen auf unterschiedlichsten Untergründen leerten. Alles in allem ein wahnsinnig intensiver Trip mit tollen Menschen, keinerlei Langeweile, einer Menge Erfahrungen, Learnings und neuen Freunden. Dazu ist vielleicht auch zu sagen, dass gerade Dali und Tomasz – wie ich auch – keine wirklichen Freunde des übermässigen Alkoholkonsums sind und wir uns dadurch 100% aufeinander verlassen und produktiv sein konnten. Die Slowakei wird mich jedenfalls nicht zum letzten Mal gesehen haben. Dovidenia!